Wer kann sich noch an das Gefühl aus der Schule vor einer Zeugnisausgabe erinnern? Selbst wenn man bereits wusste, welche Noten einen in den einzelnen Fächern erwarten würden, hatte man doch etwas Herzflattern.
Der Unterschied eines Schulzeugnisses im Gegensatz zu einem Arbeitszeugnis ist unter anderem der, dass man beim Arbeitszeugnisses vorher meist nicht genau weiß, was einen erwartet.
Zudem sprechen Zahlen in Form von Schulnoten von „1“ bis „6“ eine deutlichere Sprache, als ein „zur vollen“, „zur vollsten“ und anderen Verästelungen deutscher Sprache.
Schon vor Jahrhunderten gab es so etwas wie Sprachcodes in Zeugnissen.
Eigentlich solltest du es schätzen, dass es in Deutschland ein Recht auf die Erstellung eines Arbeitszeugnisses gibt.
Nicht nur das: Falls es dein ausdrücklicher Wunsch ist, muss es sich dabei um ein qualifiziertes Zeugnis handeln.
Der Unterschied zwischen qualifiziertem und nicht qualifiziertem Arbeitszeugnis ist, dass das nicht qualifizierte Zeugnis nur (neben den persönlichen Angaben wie Name, Adresse etc.) Aufschluss über Arbeitsgebiete, Aufgaben und Entwicklung im Unternehmen gibt.
Ein qualifiziertes Zeugnis hingegen bewertet zudem u.a. Arbeitsleistung- und weise, Fachwissen, das Verhalten gegenüber Kunden, Kollegen und Vorgesetzten sowie das Engagement des betreffenden Ex-Arbeitnehmers.
Heutzutage sollen Arbeitszeugnisse hinter vorgehaltener Hand dem zukünftigen Chef Hinweise geben, was es mit der bewerteten Person wirklich auf sich hat. Und manchmal werden diese dann im Vorstellungsgespräch angesprochen.
Jedoch darfst du die Zeugnissprache nicht als abgeschlossenes System verstehen.
Es gibt zwar Code Formulierungen, die eine bestimmte „Übersetzung“ in sich tragen.
Jedoch kann man beim Kauf eines entsprechenden Fachbuches nicht davon ausgehen, dass man ein ausgehändigtes Arbeitszeugnis 1:1 übersetzen kann. Denn Textbausteine können variiert und kombiniert werden.
Was versteht man unter abgestuften Musterformulierungen?
Sicher hast du schon einmal etwas von den Phrasen:
„Herr XY hat seine Arbeit stets zu unserer vollsten Zufriedenheit ausgeführt.“
gehört.
In diesem Fall kann man davon ausgehen, dass Herr XY ein vorbildlicher und fleißiger Arbeitnehmer in dem Unternehmen war.
„Frau A hat die Kundenbetreuung zu unserer vollen Zufriedenheit gemanagt.“
Was für Laien auf den ersten Blick sehr wohlwollend klingt, lässt Personaler aufhorchen. Frau A hat, wenn man den Codes dieser Formulierung folgt, allenfalls eine Note „3“ erhalten.
Mittlerweile weitestgehend bekannt ist auch der Code für einen „geselligen Mitarbeiter“ – dieser hat es wahrscheinlich nicht so ernst mit dem Alkoholverbot auf Arbeit genommen ;-).
Dass die Sätze trotzdem so freundlich und lobend erscheinen, liegt an den Grundregeln, die für das verfassen von Arbeitszeugnissen gelten:
Diese Regeln erlauben also keine Diskreditierungen– wohl aber subtil vermittelte kritische Äußerungen.
Einzige Ausnahme: Fehlverhalten wie Diebstahl oder Untreue (wenn diese als erwiesen gelten).
In diesen Fällen muss sich die „Verfehlung“ sogar im Arbeitszeugnis wiederfinden!
Der nächste Arbeitgeber kann nämlich, falls herauskommt, dass sein neuer Arbeitnehmer ein Ex-Dieb o.ä. ist und ihm dieser Umstand durch den vorherigen Chef nicht mitgeteilt wurde, von jenem Schadensersatz einklagen.
Seit den 70ern wird Fachliteratur auf den Markt gebracht, die nach Noten abgestufte Textbausteine und Formulierungen publiziert.
Die Mechanismen, nach denen dies erfolgt, ähneln denen der herkömmlichen Zufriedenheitsformeln:
Es entscheiden offensichtlich Nuancen über die Beurteilung in Super, Gut und OK…
In der Zeugnissprache gibt es jedoch keine eindeutige Unterscheidung zwischen Note 4 und 5.
Natürlich ist es nicht so, dass in einem Zeugnis absolut jeder Satz nach diesem Prinzip aufgebaut wird. Das hätte eine skurrile Wirkung, wenn „Herr Blume stets zu unserer vollsten Zufriedenheit den Postein- und ausgang erledigte und außerordentlich freundlich und höchst aufmerksam den Kundenwünschen lauschte.“.
[sam id=“3″ codes=“true“]
Ja, die hat es.
Zum einen erhalten potentielle Arbeitgeber und Personalverantwortliche so einen schnelleren Überblick über die Bewerber. Die eingehenden Codes ermöglichen eine effektive erste Übersicht. Es gibt zudem Software, die das Auswerten eines solchen Arbeitszeugnisses übernimmt.
Außerdem wird auf diese Weise ermöglicht, dass unterschiedliche Personen zu einem ähnlichen Ergebnis bei der Auswertung gelangen.
Da dieses System, wie schon oben erwähnt, nur der Ansatz einer Systematisierung darstellt, können die „Übersetzungen“ der einzelnen Formulierungen und Textbausteine von Fachbuch zu Fachbuch stark variieren.
Beispiel: „zur vollsten Zufriedenheit“ wird in unterschiedlicher Literatur mit den Noten „1“ bis hin zu „3“ übersetzt. Klarheit sieht anders aus…
Verdeckt negative Formulierungen (wer würde bei einem Satz wie „Wir lernten Frau S als kompetente Mitarbeiterin kennen.“ eine Note „5“ vermuten?!) können im Streitfall vor Gericht landen (als Verstoß gegen die Gewerbeordnung).
Denn § 109 GewO lässt derartige Formulierungen, die scheinbare lobende Sätze zu versteckten Kritiken bei der Stellensuche werden lassen, nicht zu.
Ein weiterer Punkt, der gegen formalisierte Arbeitszeugnisse spricht, ist die Austauschbarkeit und mangelnde individuelle Einschätzung.
Menschen sind vielfältig und es spricht ihnen zuwider, sie auf Formeln und Textbausteine reduzieren zu wollen. Dies aber ist die Folge, wenn Arbeitgeber und Personaler blind auf jene vertrauen.
…verwenden Personalverantwortliche kaum Fachliteratur mit ihren Entschlüsselungsanweisungen. Sie verlassen sich meist auf ihren klaren Menschenverstand und lassen das Augenmerk auf dem Gesamteindruck des Textes.
Interessanterweise werden den Schlusssätzen, in denen bedauert, gedankt wird etc. auch ein beträchtliches Maß an Beachtung geschenkt.
Es werden in der realen Arbeitswelt fast ausschließlich Zeugnisse mit den Noten „1“ bis „3“ (in verschiedenen Studien Werte zwischen 95 und 97 %) ausgestellt. Die Note „3“ gilt hierbei schon fast als Kritik (anders als in der Schule, in der eine Drei für „Befriedigend“ steht).
Es geht sogar soweit, dass laut einem BAG-Urteil alles, was schlechter als Note „3“ ist, begründet werden muss. Indes liegt die Beweislast für ein „Sehr gut“ oder ein „Gut“ beim Arbeitnehmer.
Natürlich kommt es vor, dass du in Unwissenheit ein Arbeitszeugnis erhalten hast, dass dich in keinem besonders guten Licht erscheinen lässt.
Dann kommt es zur Überlegung, jenes doch ganz wegzulassen bei der geplanten Bewerbung Dies ist jedoch keine besonders gute Idee, da dieser Umstand auch zum Nachteil gedeutet werden kann.
Von Personalverantwortlichen wird das im Zweifel als Verschweigen von mangelhaften Leistungen gedeutet.
Falls du Formulierungen in einem dir ausgestellten Zeugnis entdeckst, die dich negativ dastehen lassen, hast du das Recht, das Arbeitszeugnis erneut schreiben zu lassen.
In jedem Falle solltest du die Textpassagen ganz genau unter die Lupe nehmen und bestenfalls von ein oder zwei vertrauten Personen aus deinem Umfeld gegenlesen lassen.
Hier noch ein paar Dinge, die zur Kategorie „Fies & hinterhältig“ gehören:
Als Abschluss präsentiere ich dir noch ein paar nette Doppeldeutigkeiten, die mancher Arbeitszeugnis- Aussteller auf Lager hat:
Fazit: Es gibt nichts Überflüssigeres, als schlechte Chancen bei der Bewerberauswahl aufgrund eines Stückes Papier, das fehlerhaft formuliert wurde ;-).
Hast du schon einmal Katastrophen erlebt, was Arbeitszeugnisse angeht? Oder kennst du noch ein paar amüsante Formulierung? Wir freuen uns über Kommentare oder einen Eintrag im Forum.